Reichspogromnacht 1938
Gedenkveranstaltung der Arnoldiner
Trotz strenger Corona-Auflagen des Ordnungsamtes und der Polizei (und des Elternsprechtags am Nachmittag) fand am vergangenen Montagabend um 18.00 Uhr an der Kautenstege hinter der Hohen Schule in Burgsteinfurt eine regelkonforme und würdige Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Nazi-Verbrechen vor 82 Jahren statt. Wo heute nur noch ein Gedenkstein zu finden ist, befand sich über 170 Jahre lang, seit 1763, das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde Burgsteinfurt.
Um die Erlaubnis dieser Veranstaltung unter Corona-Bedingungen hatte sich mit diversen Auflagen wie der nun schon gewohnten Maskenpflicht, aber auch Abstandswahrung und Anwesenheitslisten die Erdkunde- und Deutschlehrerin Mareike Schmelz ausdauernd gekümmert. Auch die Schulleitung gab schließlich ihr Ok.
Der Zusatzkurs Geschichte der Stufe Q2 hatte sich inhaltlich bereits mit dem Thema „Jüdische Geschichte in Burgsteinfurt“ beschäftigt und war im Vorfeld etwas enttäuscht, dass der geplante Gang über den ehemaligen jüdischen Friedhof an der Gerichtstraße coronabedingt nicht stattfinden konnte. Dieser soll aber unter hoffentlich bald günstigeren Voraussetzungen nachgeholt werden.
Auf Wunsch der SchülerInnen sollte zur historischen Einordnung der Ereignisse vor dem 9./10. November 1938 eine Zusammenfassung vorgetragen werden. Hier wird die langfristige Planung der Diskriminierung der Juden seit 1933 deutlich. Ole Hautmann (Q2) ist freundlicherweise in die Rolle des Berichterstatters geschlüpft.
Tim Gruchmann, Rabea Lütke Harmölle und Louis Arning trugen die Ereignisse dieses Mittwoch-abends, Donnerstagsmorgens und Freitags aus Sicht der ursprünglich niederländischen Familie de Vries vor, die damals in der Schulstraße 20 (heutige Hohe Schule) wohnte. Allein die Beschreibung dieser erschreckenden Ereignisse, die wir dem Historiker Willi Feld zu verdanken haben, machen uns heute betroffen. Wie mussten die Töchter um ihren alten Vater in den Niederlanden kämpfen… Von der ganzen Familie de Vries überlebten nur zwei, ein Neffe und eine Nichte.
Umrahmt wurde dieser Vortrag von Trompetenklängen von Raimund Schnaars und der Schülerin Lina ten Bosch (EF). Die Resonanz der trotz allem zahlreichen TeilnehmerInnen der abendlichen Veranstaltung war durchweg positiv.
In der anschließenden Veranstaltung der evangelischen Gemeinde unter Leitung der Kantorin Simone Schnaars ging es anschließend in der Kleinen Kirche ein paar Meter weiter um die Burgsteinfurterin Edith Goldschmidt, Jahrgang 1907. Ihre Kindheit, die sie in ihrer Autobiographie „Drei Leben“ veröffentlicht hat, trugen mitfühlend und lebendig SchülerInnen der Klasse 8b vor. Ihre Beiträge in der Kirche wurden von den Anwesenden lebhaft gewürdigt. Die aktiven TeilnehmerInnen des Abends waren: Valerie Colver, Klara Fehrmann, Sophie Kottmann, Joshua Temme, Paul von Lowtzow, Jane Wirth. Leon Isbanner war krankheits-bedingt leider verhindert.
Die musikalische Begleitung in der Kleinen Kirche war außerordentlich ergreifend: Christian Lorenz (Gesang und Gitarre) und Simone Schnaars ließen traditionell jüdische Melodien und Lieder erklingen. Frau Schmelz eröffnete dem Publikum die Problematik der Corona-Leugner, die sich zum Teil antisemitischer Gedanken bedienen und die Shoa für ihre Zwecke instrumentalisieren; Frau Klabunde las versöhnliche Gedanken aus Hamed Abdel-Samads Warnruf "Aus Liebe zu Deutschland"; der deutsch-ägyptische Wissenschaftler bemüht sich seit Jahren um ein friedliches Zusammenleben der Religionen. Die Kantorin trug schließlich mehrere jüdische Segenssprüche vor, bevor die Gemeinde in Frieden auseinanderging.
Das Arnoldinum freut sich, dass die Veranstaltung – übrigens mit Hilfe der Partei „Die Grünen“, die für die 28 verstorbenen Burgsteinfurter Jüdinnen und Juden je eine Kerze gespendet haben – stattfinden konnte und plant im kommenden Jahr an einem Dienstag wiederum eine Veranstaltung zum Gedenken an die ersten Deportationen aus Burgsteinfurt im Dezember des Jahres 1941. Dann hoffentlich unter „normalen“ Bedingungen!
(Klb, Smz)