Freitag, 4. Juli, Arnolditag. Schon in der 5./6. Stunde fand im großen Eckraum 202 eine spannende Begegnung mit den Klassen 10a und 9b statt: Der Bürgerrechtler Stephan Krawczyk stattete unserer Schule freundlicherweise aus Berlin bzw. aus dem Kulturzentrum Altenberge einen Besuch ab und informierte die Schülerinnen und Schüler und uns einprägsam und musikalisch untermalt über sein Lebensschicksal als Künstler in der Ex-DDR.
Stephan Krawczyk, Jahrgang 1955, geboren in Thüringen, berichtete zunächst von seinen nach dem Krieg aus Schlesien geflohenen jungen Eltern, von denen er meinte, sie hätten diese Flucht und ihren Heimatverlust nie ganz überwunden. Schnell und im Stakkato-Schritt ging es weiter mit der normalen Sozialisierung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der DDR. Stichwort: Uniformierung und Gleichschritt. Jungpioniere (1.-3. Klasse) - Thälmann-Pioniere (4.-7. Klasse) – FDJ [Freie Deutsche Jugend] ab 14 Jahre – NVA [Nationale Volksarmee]. Die Hemd- und Tuchfarben wechselten, der Geist des Gehorsams nicht.
Krawczyk unterbrach seine Erinnerungen immer wieder musikalisch mit passenden Gesängen zum Bandoneon und zur Gitarre. Nicht nur einmal nahm er ironisch Bezug auf den Unterschied zum modernen Medienkonsum – Ohne Mikro und Verstärker geht Musik eben auch. (:
Sein künstlerisches Talent wird zunächst entdeckt, gefördert und gewürdigt. Krawczyk studiert Konzert-Gitarre, gibt Konzerte und wird geehrt. Je kritischer jedoch seine Lieder werden, desto mehr mischt sich die Stasi [Staatssicherheits-Dienst] in sein Leben und das seiner Frau ein. Das geht am Ende so weit, dass ein Mordanschlag auf die beiden verübt wird: Vor einer Autofahrt berührt nicht er, sondern sie den vergifteten Türgriff und leidet fortan unter den gesundheitlichen Folgen. Es folgen Berufsverbot und Sorgen um den Broterwerb.
Relative Freiheit erhofft er sich wie viele andere Dissidenten in der Kirche. Dort ist noch ein gewisser Freiraum für abweichende Meinungen möglich. Aber schließlich steht Krawczyk notgedrungen vor der Alternative: 12 Jahre Gefängnis oder Ausbürgerung in die BRD. Das war 1988, 12 Jahre nach der berühmt-berüchtigten Ausbürgerung Wolf Biermanns. Die SED [Sozialistische Einheitspartei Deutschlands] hatte nichts, aber auch gar nichts dazugelernt. Er berichtet, dass er und seine Frau von insgesamt 82 Spionen [IM: Inoffizielle Mitarbeiter] beobachtet wurden. Das gaben später die Stasi-Akten preis.
Zum krönenden Abschluss trug Krawczyk atemberaubend authentisch seine Erzählung „Mein bester Freund wohnt auf der anderen Seite“ (2011) vor. Darin erzählt er die Geschichte von Simon und Ronald, zwei Siebzehnjährigen, die sich auf der Plattform des Berliner Fernsehturms während eines Klassenausflugs kennenlernen und über das Interesse an derselben Musik (ACDC) anfreunden. Simon wohnt in West-, Ronald in Ostberlin. Ronalds Vater ist Genosse und Mitarbeiter der Magistrats von Berlin, Hauptstadt der DDR, Simons Vater ist Handwerker in Berlin-Kreuzberg. Wegen seines Vaters darf Ronald keine Westkontakte haben. Trotzdem schreibt er Briefe an Simon, trifft sich heimlich mit ihm in Ost-Berlin. Es hat Konsequenzen für beide.
„Erst jetzt empfand ich die Stadt als geteilt – weil ich einen Freund auf der anderen Seite hatte. Vorher wusste ich nur, dass es so ist.“ (Simon)
„Die wollen, dass ich dich aushorche.“ (Ronald)
Fazit: Interessiert Euch und lasst Euch nicht von Social Media einlullen!